Die Rheinischen Post veröffentlichte in ihrer Printausgabe vom 4. März 2023 in der Rubrik „Auf ein Wort“ zum neunten Mal eine Kolumne eines neuapostolischen Seelsorgers aus dem Düsseldorfer Kirchenbezirk.
Seit Jahren veröffentlicht die Rheinische Post unter dem Titel „Auf Ein Wort“ eine Kolumne, die sich mit einem geistlichen Impuls von Vertretern der Düsseldorfer Kirchen an die Leserschaft richtet. Das Format ist, wie der Titel schon sagt, bewusst kurzgehalten. So sollen möglichst viele Menschen zum Lesen angeregt werden.
Seit sieben Jahren schreiben neuapostolische Seelsorger
In regelmäßigen Abständen ist die Rubrik für Mitgliedskirchen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) vorgesehen, um die Vielfalt christlicher Kirchen vorstellen zu können. Seit 2016 verfassen auch Geistliche der Neuapostolischen Kirche Beiträge zu dieser Kolumne.
Nachfolgend wird der Originaltext der Kolumne veröffentlicht, wie dieser an die Rheinische Post übermittelt worden ist. Die Kolumne hat Diakon Harald Schmidt, Beauftragter für Ökumene der Neuapostolische Kirche Düsseldorf geschrieben:
Korrekturlesen bitte!
Widerspruch ernten, kritisiert werden, einem Korrektiv ausgesetzt sein: Wer mag das schon? Wenn der Chef wieder etwas zu mäkeln, wenn die Familie völlig andere Vorstellungen hat, wenn Freunde uns erklären, dass man die Dinge auch komplett anders sehen kann: In uns regt sich Widerstand, wir rechtfertigen uns, sind mitunter pikiert.
Dabei gehört das Korrektiv zum Leben dazu, ich möchte sogar sagen: Wir sind darauf angewiesen. Menschen, die kein Korrektiv kennen und die um sich herum nur Zeitgenossen dulden, welche die eigene Weltsicht bestätigen, isolieren und entfremden sich mit der Zeit vom wahren Leben. Oft sind es Managertypen oder Staatsmänner, die sich in solchen Echoräumen bewegen. Solchen Figuren gemein ist, dass der Umgang mit ihnen sich als anstrengend erweist. Meist werden sie mit der Zeit einsam, oft treffen sie krasse Fehlentscheidungen. Manch einer verliert sämtliche Hemmungen und überschreitet kaltblütig die roten Linien menschenrechtlicher Tabuzonen. Die Nachrichten sind voll davon.
Das Evangelium ist und bleibt eine frohe Botschaft – und trotzdem oder gerade deswegen hält es für uns das eine oder andere Korrektiv bereit. Von zahlreichen möglichen Beispielen sei nur eines genannt: Hätte der verlorene Sohn nicht wenigstens ein paar Wiedergutmachungsleistungen erbringen müssen, als er nach dem Verprassen seines Erbes völlig mittellos zum Vater zurückkehrt? Hätte es nicht wenigstens einer symbolischen Bußhandlung bedurft? Schon allein wegen des Bruders, der treu beim Vater geblieben war? Nein. Jesu Korrektiv an dieser Stelle lautet: Bei Gott reicht es aus umzukehren (Lk. 15,11ff.). Dennoch: Nach allem, was wir Menschen als gerecht empfinden, stößt uns diese Geschichte zunächst bitter auf. Das verwundert nicht. Christus lässt uns im Buch der Offenbarung in der dort eigenen bildreichen Sprache ausrichten, dass das Evangelium im Mund süß wie Honig schmeckt - gegessen kann es allerdings auch bitter im Magen sein (Off. 10,10).
Das Korrektiv, das Bittere, gehört zum Leben dazu, zum Glaubensleben wie zum Alltag. Es hält uns beziehungsfähig. Es lässt uns bessere Entscheidungen treffen. Es verhilft zum Umgang mit interessanten Mitmenschen, lässt uns neue Erfahrungen sammeln, unsere Denkmuster, den Handlungsspielraum erweitern. Es hält uns geschmeidig.
Ich schlage vor: Wenn Sie demnächst einmal Widerspruch ernten und sich deswegen Ihr Blutdruck erhöht, stellen Sie sich einen Moment lang vor, es könnte ein Tropfen Öl sein, der Sie geschmeidig hält. Das wirkt sich förderlich auf Ihr Wohlbefinden aus. Korrigieren Sie mich.
6. März 2023
Text:
Jörg Rüssing,
Harald Schmidt
Fotos:
Harald Schmidt